Fussballsport als Ideologie

Exkurs: Sport und Militär

Wegen ihrer Mischung von Disziplin und offener Aggressivität weist sportliche Betriebsamkeit eine Tradition als Vorstufe kriegerischen Einsatzes auf. - Viele Kampfspiele »primitiver« Völkerstämme dienten ebenso wie die Turniere der Ritterschaft des Mittelalters unmittelbar der Einübung kriegerischer Fähigkeiten. Man kann beide als Vorläufer moderner Sportwettkämpfe betrachten.

In Deutschland fielen die Anfänge der Turnbewegung mit den Vorbereitungen zu den »Befreiungskriegen« gegen die napoleonischen Heere zusammen. Die gewaltsame Volkserhebung gegen das von Napoleon repräsentierte Regime war das von ihren Initiatoren angestrebte Ziel. Der »Turnvater Jahn«, mit dessen Namen diese Anfänge verbunden werden, nannte als seine Absicht: »Die Jugend vor Schlaffheit und Ausschweifungen zu bewahren, um sie zum künftigen Kampf für das Vaterland rüstig zu machen.«

Jahn war im Gegensatz zu vielen seiner Nachfolger in der deutschen Sportführung trotz seiner Deutschtümelei kein Militarist. Er hielt den Krieg für ein vorübergehend notwendiges Übel zur Errichtung von »Staaten ohne Knechtschaft, sie heiße Hörigkeit, Untertänigkeit oder Leibeigenschaft«2. 1810 schrieb Jahn in seinem Hauptwerk »Das deutsche Volkstum«: »Vervielfältigung der Kriege ... gebiert Gewöhnung an die Greuel derselben, gebiert Vernachlässigung der Künste des Friedens, und schafft so gesittete Nationen endlich selbst zu Barbaren um. Wehe dem Menschen, durch den der Krieg komme! Wehe selbst ihm, der nicht alles, was an ihm läge, zur Abwendung dieser furchtbaren Geißel beitrüge!«

Die an den preußischen Schulen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts durchgeführten Leibesübungen standen im Gegensatz zum Jahnschen Turnen eindeutig im Dienste der militaristischen Reaktion. Spieß, ihrem maßgebenden Exponenten, gelang es, seine Vorstellungen beim preußischen Königshaus mit dem Hinweis darauf durchzusetzen, daß Turnen zugleich eine Vorbereitung für den Krieg sei, was eine Verkürzung der Militärdienstzeit und damit finanzielle Einsparungen ermögliche. Den »ordnungsstarken Untertan für den Frieden und den tatmutigen Männerschlag für den Krieg« sollten sogenannte Ordnungsübungen herbeiführen. Die amtlichen Leitfäden für das Schulturnen von 1862 und 1868 sahen als solche Übungen vor, die am Modell des preußischen Exerzierreglements von 1847 orientiert waren.

Nach dem Kommando des Turnlehrers sollte geübt werden: Marschieren in Linie, marschieren in Reihenkolonne, Wendungen im Marsch, Übergang aus der Linie in Reihenkolonne während des Marsches, Übergang aus der Kolonne in Linie durch Aufmarsch, Schwenkungen und Aufbrechen in Sektionen usw.

Zum ersten Mal fanden internationale Sportwettkämpfe zwischen den Auswahlmannschaften der Nationalstaaten in den von Imperialismus und Nationalismus geprägten letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts statt. Einerseits verbindet sich zwar mit ihnen die Sehnsucht nach einem fairen, friedlichen Ausgleich zwischen den Völkern, andererseits sind sie aber so sehr Ausdruck des modernen Nationalismus, daß es sich bei ihnen im Grunde um einen Kampf zwischen den sich mit ihrer Nationalität identifizierenden Nationen handelt.

Das Handeln und Denken Baron de Coubertins, der 1896 die modernen Olympischen Spiele begründete, zeigt deutlich diesen Widerspruch. Coubertin, der ein Friedensfestival von universeller Bedeutung schaffen wollte, glaubte nie daran, daß dieses die Auseinandersetzungen zwischen den Nationalstaaten entschärfen könne. Der Mann, der die Jugend zu »friedlichem Wettstreit« versammelte, wollte mit Hilfe seines Werkes die französische Jugend dazu anspornen, auch auf dem Schlachtfeld bereit zu sein, für ihr Vaterland zu kämpfen.

Er war überzeugter Militarist, der sich weigerte, über Pazifismus zu reden, weil die Freude am Kampf in der menschlichen Natur verankert sei.6 Daß Sport sich im Sinne, auch der Ziele von Diktaturen einsetzen läßt, hat die Geschichte des deutschen Faschismus gezeigt. »Die sportlichen Veranstaltungen waren die Modelle der totalitären Massenveranstaltungen. Als tolerierte Exzesse verbinden sie das Moment der Grausamkeit und Aggression mit dem autoritären, dem disziplinierten Innehalten von Spielregeln: legal, wie die neudeutschen ... Progrome.«

Adolf Hitler schrieb in »Mein Kampf«: »Man gebe der deutschen Nation 6 Millionen sportlich tadellos trainierter Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht und zu höchstem Angriffsgeist erzogen, und ein nationaler Staat wird aus ihnen, wenn notwendig, in nicht einmal 2 Jahren eine Armee geschaffen haben.«

Die bürgerliche Sportbewegung der Weimarer Republik, die Führer aufwies, die Krieg den schönsten Sport nannten, wollte hierbei behilflich sein: Sie lief mit fliegenden Fahnen zum Faschismus über, der ihr einen verstärkten Einfluß auf die Erziehung der Jugend bescherte. 1928 schrieb Eduard Spranger als einer ihrer Ideologen in seinem auch heute noch ehrfurchtsvoll von Sportpädagogen zitierten Aufsatz »Die Persönlichkeit des Turnlehrers«: »Durchgeistigte Körperkultur ist Dienst am Volksganzen; pädagogisch gesagt:

Du, als Glied deines Volkes, sollst gesund und kräftig sein; das ist deine höhere Verantwortung, nicht nur deine persönliche Angelegenheit, sondern etwas, was du deinem Volk schuldest, zu all dem anderen Dank und Dienst, zu dem du deinem Volk verpflichtet bist. Auch dem Staat gilt diese Verpflichtung, vor allem da, wo kein Waffendienst mehr möglich ist.«

Sprangers »ewiges Spartanertum, ohne daß es in der Welt nun einmal nicht geht«, hat in diesem Sinn unter brauner Regie dafür gesorgt, daß Ernst Blochs Diktum zutraf: »Leibesübungen, ohne die des Kopfes, hieß schließlich: Kanonenfutter sein und vorher Schläger.«

In der Sprache des Reichssportführers hieß das: »Das Mannesopfer für Volk und Vaterland wird stets die Krönung nationalsozialistischer Leibesübung sein.«

Die Affinität von Sport und Militär wird auch von den bundesrepublikanischen Verhältnissen reproduziert. Die Zentrale Dienstvorschrift »Sport in der Bundeswehr« (ZDv 3/10) beginnt mit »Leitgedanken«, die unter anderem folgende Feststellungen enthalten: »Sport fördert Gewandtheit, Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer - Sport härtet den Willen zur Leistung - Sport erzieht zur Selbstzucht und zur Einordnung in die Gemeinschaft - Sport weckt und festigt den Sinn und das Gefühl für Manneszucht, Kameradschaft und Ritterlichkeit - Sport ist somit ein hervorragendes Mittel, der militärischen Ausbildung und soldatischen Erziehung.«

Der Bundesminister für Verteidigung, Schröder, konnte 1968 mit Genugtuung feststellen: »Die Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und dem Deutschen Sportbund und seinen Organen hat sich gut entwickelt. Diese Zusammenarbeit soll zum Nutzen aller intensiv fortgesetzt werden.«

Der Präsident des Deutschen Sportbundes, Daume, erwiderte: »Es kommt auf das Vertrauen an. Bundeswehr und Sport empfinden es zueinander, das können wir mit gutem Gewissen sagen. Es gibt viel zu danken.«

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