Da der Fußballsport sich bei allen Gruppen der Bevölkerung relativ gleichmäßiger Popularität erfreut scheint seine Sozialisationsfunktion nicht schicht- bzw. klassenspezifisch zu sein. Verschieden dürfte lediglich das Gewicht sein, das ihm bei der Sozialisation der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zukommt.
Der Begriff Sozialisation bezeichnet den Prozeß der Ausformung von Persönlichkeitsstrukturen, die einer bestimmten Gesellschaftsstruktur entsprechen, aus überaus plastischen Anlagen beim Neugeborenen
Während einer bestimmten Epoche der bürgerlichen Gesellschaft war es dem Modell Freuds entsprechend der Vater, der die Ablösung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip durchsetzte. Die primäre Sozialisation des Menschen war das Werk der Familie: Sich den Ansprüchen der Realität zu fügen und sich den Anweisungen anderer unterzuordnen, wurde den Individuen zuerst in der Familie beigebracht.
Was der Sohn von seinem Vater hielt, war gleichgültig; wenn er nicht ständig schwere Versagungen erdulden wollte, mußte er Konflikten mit ihm ausweichen und unermüdlich danach trachten, sein Wohlwollen zu erwerben. Der Vater behielt gegenüber dem Sohn tendenziell stets recht: In ihm wurde die Macht der bestehenden sozialen Verhältnisse konkret.
Die einzige Möglichkeit für den Sohn, das labile Gleichgewicht zwischen dem an der Mutter haftenden Versprechen von Lust und dem vom Vater, als dem Vertreter der sozialen Realität, Gebotenen zu stabilisieren, bestand darin, den Vater als den physisch und ökonomisch Übermächtigen mit all den Qualitäten auszustatten, die als positiv galten und dadurch die Realität zum Ideal zu verklären.
Diese Idealisierung erlaubte dem Kind mit Hilfe der väterliehen Macht sein Über-Ich aufzurichten, wodurch es fähig wurde, die von der Gesellschaft gestellten Aufgaben zu bewältigen. War der vom Vater ausgeübte Druck nicht übermäßig hart, und wurde er durch mütterliche Zärtlichkeit gemildert, so konnte diese Art der Sozialisation Persönlichkeiten hervorbringen, die zur Selbstkritik fähig waren und am Modell des väterlichen Verhaltens Unabhängigkeit, selbsttätiges Handeln und innere Disziplin zu praktizieren gelernt hatten.
Die Freudsche Strukturhypothese ordnete psychische Inhalte und Prozesse drei verschiedenen Instanzen des seelischen Apparates zu, die als Träger von Funktionen zu verstehen sind. Das Es ist Ausdruck des biologischen Anteils der Persönlichkeit, es umfaßt vor allem die Triebansprüche. Das Ich hat die Verfügung über die willkürlichen Bewegungen. »Es hat die Aufgabe der Selbstbehauptung, erfüllt sie, indem es nach außen die Reize kennenlernt, Erfahrungen über sie aufspeichert, überstarke Reize vermeidet, mäßigen Reizen begegnet und endlich lernt, die Außenwelt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern; nach innen gegen das Es, indem es die Herrschaft über die Triebansprüche gewinnt« (s. Freud, S.: Abriß der Psychoanalyse Ffm, 1953, S. 7).
Das Über-Ich umfaßt die Funktionen der Selbstbeobachtung des Gewissens und der Idealbildung. Handlungen sind als durch die Ich-Instanz vermittelte Kompromisse zwischen den Anforderungen des Es, des Über-Ich und der Realität zu interpretieren.
Dieses Modell, in dem das Ich und das Über-Ich sich im Kampf mit dem Vater als dem Vertreter des Realitätsprinzips herausbilden, ist von der historischen Entwicklung seiner gesellschaftlichen Relevanz beraubt worden. Auch zur Blütezeit der Tauschgesellschaft war es nur den Verhältnissen in bestimmten bürgerlichen Schichten angemessen.
Der Übergang vom liberalen Konkurrenzkapitalismus zum organisierten Kapitalismus und die ungeheure Konzentration von gesellschaftlicher Macht in den Händen der allumfassenden kulturellen und politischen Verwaltung unterwerfen heute einstmals beim Bürgertum private Aspekte des Daseins der methodischen Schulung, Manipulation und Kontrolle im Dienste der Reproduktion des verdinglichten gesellschaftlichen Systems.
In der bürgerlichen Privatsphäre geduldete, über das Bestehende hinausweisende Dimensionen des Daseins werden von der »verwalteten Welt« ausgelöscht. Diese Veränderungen der gesellschaftlichen Struktur rufen Veränderungen im Prozeß der Sozialisation hervor und modifizieren auf diese Weise grundlegend die seelischen Strukturen der Menschen.
Die Familie hat zwar bis heute (1970) ihre Funktion als Konsumentengemeinschaft weitgehend konserviert; das Berufsleben, die Sicherung für Krankheit, Notzeiten und Alter sowie zu weiten Teilen die Aufzucht und Erziehung der Kinder sind jedoch der privaten Disposition entzogen worden. Dieser Funktionsverlust der Familie beeinträchtigt u. a. auch die traditionelle Rolle des Vaters; seine Machtposition gegenüber den Kindern wird ausgehöhlt.
Zwar kann dieser noch immer seine physische Übermacht über das Kind ausspielen und bewußt oder unbewußt mit der Kastration drohen - die Unterdrückung der kindlichen Sexualität hat sich, seit den Zeiten Freuds höchstens in ihrer Form verändert -, doch das Kind ahnt frühzeitig die reale Ohnmacht des Vaters.
»Noch macht das Kind in den Frühphasen seiner Entwicklung dieselben Erfahrungen von Haß und Liebe dem Vater gegenüber durch, die im bürgerlichen Zeitalter den Ödipuskomplex konstituierten. Rascher jedoch als früher findet das Kind heraus, daß der Vater keineswegs Macht, Gerechtigkeit und Güte verkörpert, vor allem auch: keineswegs den Schutz gewährt, den es sich zunächst von ihm verspricht.
Die tatsächliche Schwäche des Vaters in der Gesellschaft, die zurückweist auf das Schrumpfen von Konkurrenz und freiem Unternehmertum, reicht bis in die innersten Zellen des seelischen Haushalts: das Kind kann sich nicht länger mit dem Vater identifizieren.«
Die Entwertung des Vaters führt zu ernsthaften Störungen im Identitätssinn des Kindes. Es sucht deshalb, da die Beziehung zum Vater das Imago omnipotenter Macht in seinen seelischen Apparat zementiert hat, nach einem stärkeren, mächtigeren Vater als dem realen, nach einem Übervater, wie ihn die Idole der Bewußtseinsindustrie und kollektive Mächte darstellen.
Der belächelte »Alte« wird durch machtvollere Autoritäten ersetzt, die mehr Schutz, narzißtische Gratifikationen und materielle Vorteile versprechen. Die Prägung in der Familie wird dadurch eine negative: Das Kind lernt, daß nicht der schwache Vater, sondern z. B. der Fußballstar und die Fußballmannschaft Autoritäten für ein angemessenes geistiges und körperliches Verhalten sind. »Seit Freuds Zeiten hat sich das Verhältnis von Vater und Sohn verkehrt. Die rasch sich ändernde Gesellschaft, die den Alten ihr Schicksal bereitet, wird vom Kind vertreten.
Der furchtsame Respekt, den der Hitlerjunge bei den Eltern genießt, ist bloß die politische Zuspitzung eines universellen Tatbestandes. Selbst auf die allerersten Lebensjahre, in denen Vaterimago und Über-Ich sich bilden sollen, strahlt jenes Verhältnis zurück, in dem der Vater nicht von einem anderen Individuum vertreten, sondern abgelöst ist durch Dingwelt und Kollektiv.«
Die gesellschaftlichen Zwänge werden nicht mehr als familiäre Anforderung in langem Kampf mit dem Vater verinnerlicht, »das Ich-Ideal wird vielmehr dazu gebracht, auf das Ich direkt und von ›außen‹ einzuwirken, noch ehe das Ich tatsächlich sich als das persönliche und relativ autonome Subjekt, der Vermittlung zwischen dem eigenen Selbst und den anderen herausgebildet hat.«
Das entstehende Ich wird unmittelbar der Regie der Gesellschaft unterworfen, die es etwa mit Hilfe des Sports zu dirigieren vermag, der Modelle eines Verhaltens liefert, das sich der Übermacht der Verhältnisse fügt.
Beim Menschen, der zum bewußten und unbewußten Objekt der totalen Ökonomie und Verwaltung wird, schrumpft das Ich dermaßen, daß es nicht mehr imstande scheint, sich als Selbst unabhängig vom Es und vom Über-Ich zu behaupten. Die phylogenetische Regression auf präödipale Verhaltensweisen, auf zwanghaft mimetische Reaktionen, die Anna Freud als Identifikation mit dem Aggressor klassifiziert9, kennzeichnet die anthropologische Realität unterm Spätkapitalismus. »Die vieldimensionale Dynamik, aufgrund derer das Individuum sein Gleichgewicht zwischen Autonomie und Heteronomie, Freiheit und Unterdrückung, Lust und Schmerz erlangte und erhielt, ist einer eindimensionalen statischen Identifikation des Individuums mit seinesgleichen und dem verwalteten Realitätsprinzip gewichen.«
Daß der aufgrund seiner frühkindlichen Erfahrungen zur von außen geleiteten Persönlichkeit11 prädisponierte Jugendliche durch die Konformität mit seinen Gruppengenossen im Sportverein, mit denen er gemeinsam den Sportstars nacheifert, sich der Autorität der herrschenden Produktionsverhältnisse unterwirft, bedeutet in der Sprache der Sportideologie: »Der junge Mensch lernt durch das Fußballspiel, wenn es unter sachkundiger Leitung gepflegt wird, am eigenen Leibe, was es heißt, ein selbständiges und dienendes Glied einer Gemeinschaft zu sein. Wir glauben, daß der, welcher sich hundert- und tausendmal im Spiel bewährt, sich auch im späteren Leben bewähren wird«.
Die Entleerung der Autorität des Vaters erschwert es dem Sohn, der sich ihretwegen nicht mehr mit diesem identifizieren kann, eine männliche Geschlechtsidentität zu erlangen. »Ist der Vater eine schwächliche Figur ... , dann wird es für den Knaben äußerst schwer, eine durchführbare männliche Rolle zu übernehmen.«
Die Ablösung der primären Identifikation mit der Mutter wird durch die Umgehung des ödipalen Konflikts unmöglich gemacht, dem der Sohn bei fehlender Identifikation mit dem Vater nicht mehr gewachsen ist. Das Kind kann die hierfür notwendigen Verdrängungsleistungen nicht vollbringen, wenn es nicht ein Vaterbild in sich aufrichten kann, das ihm hierzu die Kraft leiht. Der Sohn verzichtet auf den Kampf mit dem Vater um den Preis einer Regression auf präödipale Phasen, wo die erotische Beziehung zur Mutter gestattet war: Aus Furcht vor der Aggressivität der »tödlichen« männlichen Konkurrenz des Vaters flüchtet er in die Erlebniswelt der Homosexualität. »Die Homosexualität ist ein, wenn auch irrtümlicher, Versuch, der Gefährlichkeit aller gegen das eigene Geschlecht gerichteten Haß- und Aggressionswünsche bereits im frühen Kindesalter durch Vermeidung der Konkurrenz mit dem Vater zu entgehen.«
Die Neigung zur Homosexualität wird beim Sohn durch die Versagungen verstärkt, die er von Seiten der Mutter infolge der heute vorherrschenden emotionalen Kälte in der Familie erleidet. »Im Gefühl, ungeborgen und enttäuscht zu sein von der Mutter, der Frau, versucht der Mann, in der Identifizierung mit den mütterlich-weiblichen Eigenschaften sich selbst zur Mutter gegenüber einem geliebten Objekt zu machen, das er so behandelt, wie er es selbst gewünscht hatte, behandelt zu werden.« Gelingt das nicht, so unterwirft es sich passiv einer Gesellschaftsordnung, »die das männliche Prinzip der Herrschaft rein durchsetzt.«
Die Identitätskrise des ödipalen Konfliktes ist die Vorstufe der ambivalenten Zerrissenheit der Pubertät, die heute meist sehr gedehnt verläuft und sich oft bis weit in die 20er Jahre erstreckt. Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen, der auf der Basis der in der frühen Kindheit erreichten seelischen Organisation vor sich geht, bringt extreme Erschütterungen der Persönlichkeit mit sich. Sowenig der Vater, mit dem sich der Sohn nicht mehr identifizieren kann, die Ablösung der primären Identifikation mit der Mutter ermöglicht, so wenig liefert er ein Modell männlicher Erwachsenheit, in dem der Sohn seine sexuelle Identität finden könnte. Die Folgen für den Knaben bestehen in Angst, Vereinsamung und extrem wechselnder Selbsteinschätzung.
Da die väterliche Hilfe fehlt, sucht der Jugendliche seine Unsicherheit dadurch zu mindern, daß er sich im Rahmen einer peer-group an seinen gleichgeschlechtlichen Altersgenossen orientiert, zu denen er sich wegen seiner homosexuellen Disposition ohnehin hingezogen fühlt. »Cliquen als monosexuelle Einrichtungen polarisieren und verstärken geschlechtsspezifische Verhaltensmuster und wirken als Transmissionsriemen für sexuelles Wissen und Verhalten.
Die Muster des Cliquenverhaltens sind deshalb besonders für Jungen wichtig, denen es sonst an männlicher Anleitung fehlen würde und die deshalb unstimmige sexuelle Eigenschaften entwickeln würden.«
Einen organisatorischen Rahmen für männliche peer-groups bietet der Fußballverein, der die ihm angehörenden Jugendlichen in Altersgruppen vom 12. Lebensjahr an erfaßt. Unter Anweisung des Trainers und im Blick auf seine sportlichen Idole, die beide teilweise an die Stelle des Vaters getreten sind, erlernt der Jugendliche hier gemeinsam mit seinen Altersgenossen Verhaltensmuster, die nach den vorherrschenden gesellschaftlichen Standards als spezifisch männlich gelten. Toughness, als Gestus der Männlichkeit, wird auf dem Fußballfeld eingebleut.
Die Bedeutsamkeit stählerner Muskeln, die Abwesenheit von Sentimentalitäten bei harten Zweikämpfen und bei der Hinnahme häufig schmerzhafter Verletzungen oder die Fähigkeit, nach Spielende Unmengen Bier konsumieren zu können (eine Ausnahme bildet hier der Spitzenfußball), prägen das Klima in der Sportgruppe. Die Freuden der betont »männlichen« Männer des Fußballsports, vom Typ der von Adorno charakterisierten He-Männer, zeichnen sich durch latente Gewalttätigkeit gegen sich selber aus.
»Wenn alle Lust frühere Unlust in sich aufhebt, dann ist es hier die Unlust, als Stolz sie zu ertragen, unvermittelt, unverwandelt, stereotyp zur Lust erhoben.« Die Überbetonung dieser masochistischen Verhaltensmuster ist als zwanghafte Reaktionsbildung auf jene latente Homosexualität zu begreifen, die der frühkindlichen Erfahrung zuzuschreiben ist: Verdrängte Homosexualität tritt als einzig approbierte Gestalt des Heterosexuellen auf.
Das Bemühen zielt darauf, bei sich selbst jene Züge, die dem anderen Geschlecht zugerechnet werden, rigoros zu unterdrücken. Je schwächer das Ich durch die allgemeine gesellschaftliche Repression ist, desto mehr erschöpft es seine Energie bei den Abwehrleistungen gegen die als pervers abgelehnten und deshalb zu verdrängenden Regungen, desto ängstlicher wird alles registriert, was auch nur in assoziative Beziehung zum Verdrängten gerät und es zu reaktivieren droht.
Der auf dem Sportplatz ebenso wie in Familie, Schule und Betrieb Disziplinierte kann keine Abweichung dulden, die der von ihm akzeptierten Norm nicht entspricht. Wer keine stählernen Muskeln aufzuweisen hat, wird ohne weiteres zu den Effeminierten gerechnet und ist der Verachtung sicher. Die He-Männer bedürfen der »Weichlinge«, deren Passivität virtuell ins Weibliche umschlägt, als ihrer Opfer, um nicht zugestehen zu müssen, daß sie ihnen gleichen. Die Repression durch den gesellschaftlichen Entfremdungszusammenhang und eine bestimmte Art verdrängter Homosexualität gehören zusammen. »Während das Subjekt zugrunde geht, negiert es alles, was nicht seiner Art ist.«
Trotz der Feindschaft, mit der der pubertierende Jugendliche allem Weiblichen zu begegnen lernt, wird er durch seine gegenüber der Latenzphase verstärkten sexuellen Impulse von den Geschöpfen des anderen Geschlechts angezogen. Um der damit gegebenen Versuchung zu engem Kontakt mit Frauen und Mädchen auszuweichen, der die männliche Identität bedrohen könnte, erhebt die gleichgeschlechtliche peer-group die Ablehnung von Personen des anderen Geschlechts zur Norm.
Sie biegt dadurch heterosexuelle Strebungen in homosexuelle um, die die Bindungen an die Gruppengenossen verstärken. Alle Ansätze zum »Damenfußball« scheiterten bisher am massiven Widerstand der männlichen Aktiven und ihrer Funktionäre. Schon frühzeitig wandte sich der englische Verband gegen die Teilnahme von Frauen an Fußballwettspielen. Ende des vergangenen Jahrhunderts schrieb er an seine Mitglieder: »Uns sind Beschwerden zu Ohren gekommen, daß Frauen Fußballspiele durchführen. Der Fußballverband ist der Meinung, daß dieses Spiel für Frauen völlig ungeeignet ist und daher nicht gefördert werden darf.«
Da dieses Verbot anscheinend nicht immer völlig wirksam war, mahnte der Verband 1946 seine Mitglieder, »energisch zu verhindern, daß Vereine ihre Plätze vermieten oder anderweitig Gelegenheit scharfen, um irregulären Fußball durch weibliche Teilnehmer spielen zu lassen.«26 Verläßt der in seiner Geschlechtsidentität unsichere Mann die peer-group, so kann er die Angst vor der seine Männlichkeit bedrohenden Frau dadurch herabmindern, daß er diese erniedrigt, indem er sie zum Objekt seiner Eroberungen macht.
Die patriarchalische autoritäre Gesellschaft gibt ihm dabei Hilfestellung. In ihr ist die sozial diskriminierte Frau grundsätzlich die Schwächere, und da der autoritär strukturierte Mann die Schwächeren automatisch haßt und verachtet, erhält auch seine Einstellung zur Frau eine feindselige und grausame Note. »Wie aber die Frau aufgrund ihrer gesellschaftlich unterlegenen Position notwendig verachtet und gehaßt wird, wird der männliche Führer aufgrund seiner Stärke und Überlegenheit verehrt und geliebt.«
Auf dem Sportplatz ist den harten Männern auf dem Rasen die Bewunderung von »Fußballbräuten« sicher, die als ihre »potentielle Beute« auf der Tribüne sitzen. Das Liebesleben des Typus Mann, den der Sportplatz prägen hilft, weist eine eigenartige Spaltung auf: In physiologischer Hinsicht ist er heterosexuell, während er in seelischer Hinsicht, seiner frühkindlichen Disposition entsprechend, homosexuell ist. Er ist wohl der Frau gegenüber im Sinne der Befriedigung der körperlich sexuellen Impulse potent und auch zur Gründung einer Familie fähig; in seelischer Hinsicht aber ist er homosexuell an seine Geschlechtsgenossen gebunden und der Frau gegenüber feindselig eingestellt.
In der Gruppe der gleichgeschlechtlichen Altersgenossen versuchen die Jugendlichen, den in der frühen Kindheit umgangenen ödipalen Konflikt nachträglich in veränderter Form auszutragen. »Diese jungen Leute sind Nachzügler in der Bewältigung des Ödipuskomplexes und besitzen ein regressives, prägenitales Über-Ich. Sie haben sich nicht gegen den Vater verbunden, um sich in eine echte ödipale Auseinandersetzung zu begeben, sondern um auf der Basis einer latenten Homosexualität und sadomasochistischer Regression ein pseudoödipales Verhalten zu leben.« Der Fußballsport entspricht, wie zu belegen versucht werden soll, dieser Konstellation.
Das Wettspiel spiegelt »die emotionalen Schwankungen, die für den Heranwachsenden typisch sind, beim Bemühen, die verstärkten genitalen Strebungen zu kontrollieren und zu steuern«. Die während des Spieles vorkommenden raschen Wechsel zum Beispiel von Aktivität zu Passivität, von Angriff zu Verteidigung, vom Gefühl der Omnipotenz zum Gefühl schmählichen Versagens entsprechen der Ambivalenz der Gefühlseinstellungen während der Pubertät bzw. ihrer Vorstufe während der Lösung des ödipalen Konfliktes.31 Nach Erik Erikson ist die phallische Phase, die vom Ödipuskomplex geprägt ist, beim Knaben vom »Modus des Eindringens« beherrscht.
Dieser umfaßt eine Fülle von strukturell ähnlichen Handlungen und Phantasien, wie zum Beispiel das Eindringen in und auf andere durch physischen Angriff, das Eindringen in den Raum durch kraftvolles Umherlaufen oder das Eindringen in das Bewußtsein des Gegenüber durch aggressives Reden. Komplementär hierzu dominiert beim Mädchen der »Modus des Umschließens oder Aufnehmens.«
Die Ballspiele der Jungen und Mädchen werden durch diese Modi geprägt. »Die Beobachtung des Kinderspieles lehrt uns, daß Mädchen zum Handballspiel, Jungen aber mehr zum Fußballspiel neigen, und dies um so mehr, je älter sie sind.«
Bei den Handballspielen der Mädchen - etwa beim Wandball - steht, dem aufnehmenden Modus entsprechend, das Fangen des Balles mit den Händen im Mittelpunkt.
Das Fußballspiel der Jungen hingegen betont den eindringenden Modus, was bei Zweikämpfen um den Ball, beim »Eindringen« in den gegnerischen Strafraum oder beim zentralen Bestreben, Tore zu erzielen, sichtbar wird. In übertragener Form wird der Konflikt mit dem Vater, der aus der ersten geschlechtlichen Neigung des Sohnes, dem Liebesanspruch auf die Mutter, resultiert, während des Fußballspieles ausgetragen. »Bei Mannschaftsspielen ist das ›zu Hause‹ nicht zu gewinnen, sondern es wird gegen alle verteidigt, im Grunde gegen den Vater.« »Gleichzeitig ist die Verteidigerrolle aber auch eine Vaterrolle. Er widersetzt sich der vorwärtsstrebenden Jugend der Gegenseite.«
Über die Beziehung zwischen der mit der ödipalen Rivalität einhergehenden Kastrationsangst und der Neigung zu fußballerischer Betätigung äußert sich eine Studie von Helene Deutsch. In einem Beitrag zur Psychologie des Sports berichtet sie von einem Patienten, bei dessen Analyse sich eine Verbindung zwischen seinem Interesse für Sport und seiner seelischen Erkrankung ergab. Während der Angstzustände seiner Kindheit fühlte sich der Patient einer drohend nach ihm ausgestreckten Hand wehrlos ausgesetzt; seine damaligen Träume beinhalteten ständig die Gefahr, von runden, über ihm schwebenden Objekten, wie einem Ballon, einer kugelförmigen Wolke oder einem Ball erschlagen zu werden.
Im achten Lebensjahr wurden die Angstzustände durch eine von Deutsch als »Agoraphobie« (Platzangst) bezeichneten Phobie abgelöst, die einen ähnlichen Inhalt wie die früheren Träume hatte. Der Patient fürchtete sich davor, daß ein Ball, mit dem er spielte oder den jemand warf, auf seinen Kopf fallen könnte, wovon er den Tod oder schwere Verletzungen befürchtete. Diese Furcht schränkte seine Bewegungsfreiheit stark ein, da er sich überall von dem schrecklichen Ereignis bedroht fühlte. Die Phobie hatte wie die ihr vorangehenden Angstzustände die Furcht vor der Kastration zum Inhalt: Der Vater, dessen drohende Hand die Angstzustände bestimmte, war in der Phobie durch den Ball ersetzt worden.
Darauf wies schon die Tatsache hin, daß der Patient zwanghaft bemüht war, nicht zu onanieren. Kurze Zeit nachdem die Phobie verschwunden war, entwickelte der Patient einen extremen fußballerischen Ehrgeiz. Die Spielsituationen, denen er sich dabei gegenüber sah, glichen der Situation in der Phobie: in beiden Fällen erwartete er den Ball voller Spannung. Die entscheidende Differenz zwischen beiden Konstellationen bestand darin, daß er in der Phobie vergeblich zu fliehen versuchte, während er beim Fußballspiel effektiv danach streben konnte, die Lage zu meistern.
In der Sportsituation war es möglich, »den psychischen Apparat von seiner inneren Bürde zu befreien, indem die Gefahr, die realiter den Trieben des Subjektes entstammte, in die äußere Realität verlagert wird.« Neurotische Angst konnte in reale Furcht verwandelt werden, der beim Spiel ohne die Qualen der Phobie begegnet werden konnte. Deutsch glaubt, aus der Analyse dieses Falles allgemeine Schlüsse über die Funktion des Sportes ziehen zu können: »Die naheliegende Erklärung dieses Falles kann zu einer allgemeinen Annahme ausgeweitet werden; auch bei einer Person, die nicht offenkundig neurotisch ist, ist der Mechanismus bei sportlicher Aktivität derselbe: Projektion einer Angstquelle im Innern in die Außenwelt und Abbau von Angst.«
Diese Hypothese erlaubt es, das oft unerklärliche Versagen mancher Fußballspieler besonders beim Torschuß zu erklären. Die Bindung von Angst, die mit Hilfe des Sports gelungen war, bricht in diesen Fällen plötzlich zusammen, wodurch den Spieler Unsicherheitsgefühle überkommen. Er hat durch seine sportliche Übung den Kastrationskomplex nicht wirklich bewältigt: bei der Bewährungsprobe, wenn er beweisen soll, daß er den eindringenden Modus beherrscht, »sieht der athletische Herkules offenbar wieder die Hand aus dem Dunkel auftauchen, und er zittert und fürchtet sich.«41 Helene Deutschs Analyse vergißt den Preis, welchen der Sport für die Bewältigung des Kastrationskomplexes verlangt: Er besteht in der Anpassung ans Bestehende.
Das kapitalistische System etabliert seine Zwänge mit Hilfe der Kastrationsdrohung. Wer mit ihr zu leben gezwungen ist, ist zumindest partiell zur Unterwerfung unter entfremdete Verhältnisse genötigt. In der Kastrationsangst des Knaben während der phallischen Phase »liegt der infantile Ursprung des Bedürfnisses des Menschen nach einem Feind, gegen den er sich wappnen und den er als konkreten Gegner bekämpfen kann«.
Wird dieser Feind in Gestalt des Gegners auf dem Fußballfeld besiegt, so stellt das ein symbolisches Sichversichern der eigenen Potenz dar, während die Niederlage auf dem Sportfeld oder das Verlieren des Balles an den Gegenspieler, eine symbolische Kastration beinhaltet. Wer mit Hilfe der Rivalitätskonflikte auf dem Sportfeld lernt, mit der Kastrationsdrohung zu leben, entwickelt jene seelische Robustheit, die die Konkurrenzgesellschaft reproduzieren hilft.
»Die Potenzproblematik bringt ständig und verschiedenartig libidinöse Themen in die Ballspiele ein.«43 Das wird auch an einem bei den südamerikanischen Hochkulturen der Tolteken, Mayas und Azteken in Verbindung mit Fruchtbarkeitsriten üblichen Ballspiel besonders deutlich.44 Bei dem Spiel, zu dem nur Männer zugelassen wurden, standen sich zwei rivalisierende Mannschaften gegenüber, deren Mitglieder den Ball wie beim Fußballspiel nicht mit den Händen bewegen durften. Man sprang dem Ball entgegen und versuchte ihn, »die Mitte des Körpers als Schlagholz benutzend«45, durch einen Steinring zu stoßen. Blutergüsse an Gesäß und Unterleib waren sehr häufig die Folge dieses Bemühens.
Die vom Spätkapitalismus verordneten Verhaltensmuster sind von der Reaktivierung archaischer Sozialisationspraktiken abhängig. Der Fußballsport verkörpert die moderne Variante der Pubertätsriten »primitiver« Völkerstämme. Den identischen Kern dieser in sehr verschiedenen Ausprägungen vorkommenden Initiationsriten skizziert Zulliger folgendermaßen: »Nachdem die männlichen Nachkommen während ihrer ersten Jahre ziemlich vollständig den Müttern überlassen werden, sammeln alte Männer sie, sobald die Knaben das in den betreffenden Gegenden vorverschobene Jünglingsalter erreicht haben. Meist sind es drei bis sieben Jahrgänge von Knaben, die nun in weitabgelegene Landstriche entführt werden.
Der Alte, dem sie unterstellt sind - oft sind es ihrer mehrere - unterrichtet die Knaben in den männlichen Beschäftigungen. Man schult sie in der Waffenhandhabung. Es werden strapazierende Märsche durchgeführt. Die Jungmannschaft muß Hunger und Durst erleiden, ertragen, die Jagdkniffe erlernen. Die angehenden Männer werden von sexuellen Praktiken in Kenntnis gesetzt. Man tätowiert sie und schlägt ihnen Wunden, gewöhnt sie daran, den Schmerz nicht zu zeigen, tapfer zu sein. Es kommt nicht selten vor, daß einige von den jungen Leuten sterben, weil die Strapazen allzu hart sind.
Die Initiationszeit dauert meist lange, oft jahrelang. Sie endet mit der Rückführung ins Dorf und einem wilden Fest. Das Fest beginnt mit der Beschneidungszeremonie oder deren Abkömmlingen. Mit einem Messer aus Stein, Hartholz oder Eisen wird den jungen Männern rituell die Vorhaut abgeschnitten, wobei sie kein geringstes Zeichen der Angst oder des Schmerzes verraten dürfen. Auf der Insel Madagaskar schnitt man den Jungen einen Hoden aus; anderswo, wo mildere Sitten die gröberen ablösten, reißt man ihnen nur ein Büschel Haare aus oder feilt ihre Zähne zu Spitzen, schlägt ihnen Zähne aus oder Zahnkronen ab usw. Hierauf wird erklärt, aus den Knaben seien nun vollberechtigte Männer geworden.«
Bei der Analyse dieser Prozeduren tauchen alle Momente auf, die für die Sozialisation durch den Fußballsport wesentlich sind:
Die frühe Kindheit führt zu ausgeprägten Mutterbindungen, die von homoerotischen Strebungen begleitet sind. Das Erlernen von Männerrollen erfolgt unabhängig von der Familie, unter Anleitung männlicher Erwachsener, in Jünglingskollektiven. Es erfolgt unter strenger Isolierung vom anderen Geschlecht. Die Basis der Männerrolle bildet die erzwungene Reaktionsbildung auf feminine Strebungen.
Die Verarbeitung der symbolischen Kastration, die der Sohnesgeneration durch die Vatergeneration zugefügt wird, soll die Unterwerfung unter die etablierten Mächte sichern.47 Die Unterwerfung ist mit der Reglementierung der Sinnlichkeit gekoppelt.
»Die Beschneidung soll den geschlechtlichen Ausschweifungen der im gefährlichen Alter stehenden Knaben einen Damm setzen.«
Leidend ohne zu klagen muß der Jugendliche das Opfer der Unterwerfung unter die Gesetze der etablierten Ordnung bringen.
Die These, daß der Fußballsport archaischen Initiationsriten entspricht, die den Zugang zu »erwachsener« Männlichkeit öffnen, wird durch das Faktum gestützt, daß das Interesse an fußballerischer Betätigung mit der Eheschließung einen krassen Abfall erfährt.
Auch die mit der Beschneidungszeremonie oder deren Abkömmlingen verbundenen Feste sind beim Sportbetrieb ansatzweise vorhanden. Ritualisierte Siegerehrungen und ausgedehnte Gelage oder Bankette nach Spielende sind in dieser Richtung zu interpretieren. Ebenso zeigt das »Aufstellen« der Spieler, das zu Beginn des Wettspiels und nach jedem erzielten Tor »zelebriert« wird, einen gewissen feierlichen Charakter.
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