Die kapitalistische Arbeitswelt läßt den Körper nicht zu seinem Recht kommen. Der vom Kapital gesteuerte Trend, den man mit Schlagworten wie Mechanisierung, Spezialisierung oder Bürokratisierung umschreibt, bringt es mit sich, daß er durch die Verhältnisse in Gruben, Fabriken und Büros »als widerwilliges Instrument zu einseitig spezialisierter Leistung überanstrengt wird oder einer nicht weniger unnatürlichen Ausschaltung zugunsten bloßer Kopfarbeit verfällt«.
Der Sport erhebt den Anspruch, der Körperlichkeit, kompensatorisch zu ihrer Schädigung, zu ihrem Recht zu verhelfen. Durch ihn soll der Leib aus den Verzerrungen und Entstellungen herauskommen, die ihm die arbeitsteilige, entfremdete Gesellschaft zugefügt hat. »Sport ist nichts anderes als bewußte Kultur des Körpers, dem als einem Geschenk der Natur zur Entfaltung und Gestaltung seiner Möglichkeiten zu verhelfen als Pflicht empfunden wird.«
Wie wenig der Sport diesem Anspruch gerecht wird, läßt sich an seinem Verhältnis zur Sexualität demonstrieren. »Die moderne Kulturerziehung bedient sich bekanntlich des Sports in großem Umfang, um die Jugend von der Sexualbetätigung abzulenken; richtiger wäre es zu sagen, sie ersetzt ihr den Sexualgenuß durch die Bewegungslust und drängt damit die Sexualbetätigung auf eine ihrer autoerotischen Komponenten zurück.«3 Freuds Feststellung macht deutlich, daß das Recht, zu dem der Sport dem Körper angeblich verhelfen will, in Wahrheit erneute Askese ist.
Die gängige Trainingslehre des Fußballsportes empfiehlt mäßige sexuelle Betätigung und zweitägige Enthaltsamkeit vor dem Wettkampf.4 B. Gebhardt, einer der bürgerlichen Sportführer im wilhelminischen Deutschland, konstatierte 1896: »Mäßigung, Enthaltsamkeit, Beherrschung der Leidenschaft und sonstige Mannestugenden werden durch den Sport entwickelt.«5 Auch die bundesrepublikanischen Sportideologen sind sich bewußt, daß der Sport der Unterdrückung der Lust dient.
Als Apologeten der herrschenden Ordnung halten sie es mit einer gängigen Lustfeindschaft und pflegen die Ablenkung von den »bösen Trieben« als Voraussetzung für das Erreichen »höherer Ziele« zu propagieren. Horst Wetterling, einer der führenden bundesdeutschen Sportpädagogen, schreibt: »Der Sport kann der Erziehung helfen, die Einheit des menschlichen Wesens zu wahren. Und dies ist doch wohl angesichts der pausenlosen Glorifizierung zum Beispiel des sexuellen Genusses dringend nötig, jener Glorifizierung, die jedes Verständnis dafür vermissen läßt, daß der Mensch sich in gefühlsdurchtönten Begegnungen zu bergen sucht und in der sinnlichen Erregung allein keine Zuflucht findet.«
Sein prominenter Kollege Hermann Nohl formuliert: »Mut, Ausdauer, Energie, Geschlossenheit und Festigkeit drücken das gehobene Bewußtsein aus, das aus der bloßen Beschaffenheit des Willens entspringt und das den sinnlichen Triebgefühlen überlegen ist. Hier ist also ein selbständiger Einsatz des höheren Lebens, und wir haben in ihm ein Mittel, unser Triebleben zu beherrschen.
Die Freude ist stärker als die Lust. Um dieser Freude willen versagt sich der Mensch alle faulen Genüsse. Selbst der Zuschauer empfindet diese Freude beim Miterleben solcher Energie und Festigkeit, während Schwäche, Feigheit und Faulheit mißfällt als eine Minderung des Lebens.«
Das »höhere Leben«, das der Sport nach Ansicht seiner Ideologen anbietet, besteht in der Anpassung an bestehende irrationale Verhältnisse. Die »Befreiung« des jahrhundertelang von ökonomischen Interessen ausgebeuteten, gedemütigten Körpers, die der Sport anzubieten verspricht, besteht lediglich darin, diesem einen Teil die Funktionen zurückzugeben, welche ihm die Maschine entzogen hat: »Aber er sucht es, um die Menschen zur Bedienung der Maschine um so unerbittlicher einzuschulen.«
Er erlaubt, die Muskulatur gleichmäßiger als während der Arbeit zu belasten, um den Preis einer ihr gegenüber noch verstärkten Verdinglichung des Leibes. Der Körper, der nicht mehr ganztätig als Arbeitsinstrument zur Verfügung stehen muß, könnte resexualisiert werden und beim Spiel der Lust zur Verfügung stehen.9 Da dies zur Auflösung von gesellschaftlichen Institutionen führen würde, die für die Fortdauer der bestehenden Herrschaftsverhältnisse notwendig sind, hat die Gesellschaft den Sport aufgeboten: er verhindert die Befreiung der Sinnlichkeit, indem er das Lebendige der toten Maschinerie angleicht.
Selbst da, wo sich die Lust scheinbar ungehemmt entfalten darf, fällt sie noch Unterdrückungsmechanismen anheim, die eine Affinität zu denen auf dem Sportplatz aufweisen. Eine manipulative Unterdrückung der Sexualität, die sie mit Hilfe einer repressiven Entsublimierung enterotisiert,10 reduziert die körperliche Vereinigung auf eine Art sportliche Disziplin: Auf »Sexualathletik«, die unter Leistungsgesichtspunkten betrieben wird. Wer unter Anleitung der Sexualstrategen der Massenmedien seine »Liebestechnik« zu verbessern weiß, dem winkt die Chance, seine Orgasmusfrequenzen hochzuschrauben.
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