Familienbindungen und Nationalgefühle

Die Familiensituation der verschiedenen Schichten des Kleinbürgertums unterscheidet sich zunächst nicht von der unmittelbaren wirtschaftlichen Lage. Die Familie - die der Beamten ausgenommen - stellt ebenfalls ein Wirtschaftsunternehmen im kleinen Maßstab dar. Die Mitglieder der Familie eines kleinen Kaufmanns arbeiten in seinem Geschäft mit, wodurch die Kosten für externe Hilfe entfallen. Auf kleinen und mittleren Bauernhöfen ist das Zusammentreffen von Familie und Produktionsweise noch ausgeprägter.

Die Wirtschaft der großen Patriarchen (z. B. der Zagruda) baut im Wesentlichen auf dieser Praxis auf. In der engen Verflechtung von Familie und Wirtschaft liegt der Schlüssel zur Frage, warum die Bauernschaft „erdverbunden“, „traditionell“ und deshalb dem Einfluss der politischen Reaktion so zugänglich ist. Damit ist nicht gesagt, dass die Boden- und Traditionsverbundenheit allein durch die wirtschaftliche Lebensweise bestimmt wird, sondern dass die bäuerliche Produktionsweise eine strenge Familienbindung aller Familienmitglieder mit sich bringt und diese Bindung eine weitgehende sexuelle Unterdrückung und Repression voraussetzt.

Aus dieser doppelten Basis erwächst also die typisch bäuerliche Anschauungsweise. Ihr Kern ist die patriarchalische Sexualmoral. An anderer Stelle habe ich die Schwierigkeiten beschrieben, denen die Sowjetregierung bei der Kollektivierung der Landwirtschaft gegenüberstand; es war nicht nur die „Liebe zur Erde“, sondern in erster Linie die durch die Erde bedingte Familienbindung, die solche Schwierigkeiten verursachte.

Zum einen kann die Möglichkeit, eine gesunde Bauernklasse als Grundlage für eine ganze Nation zu erhalten, nie hoch genug eingeschätzt werden. Viele unserer heutigen Leiden sind nur die Folge des ungesunden Verhältnisses zwischen Land- und Stadtbevölkerung. Ein solider Bestand an Klein- und Mittelbauern war zu allen Zeiten die beste Verteidigung gegen soziale Übel, wie wir sie heute haben. Und außerdem ist dies die einzige Lösung, die es einer Nation ermöglicht, ihr tägliches Brot im inneren Kreislauf ihrer Wirtschaft zu verdienen. Industrie und Handel treten aus ihrer ungesunden Führungsposition zurück und passen sich dem allgemeinen Rahmen einer Volkswirtschaft mit ausgeglichenem Angebot und Nachfrage an.

[Mein Kampf, S. 138] Dies war die Haltung Hitlers. So sinnlos sie ökonomisch war, so wenig es der politischen Reaktion je gelingen konnte, die Mechanisierung der Großlandwirtschaft und die Auflösung der Kleinlandwirtschaft aufzuhalten, so bedeutsam war diese Propaganda doch massenpsychologisch, denn sie wirkte auf die eng verbundene Familienstruktur der kleinbürgerlichen Schichten.

Die enge Verflechtung von Familienbanden und bäuerlichen Wirtschaftsformen wurde nach der Machtergreifung schließlich von der NSDAP zum Ausdruck gebracht. Da die Hitlerbewegung hinsichtlich ihrer Massenbasis und ideologischen Struktur eine kleinbürgerliche Bewegung war, war eine ihrer ersten Maßnahmen zur Sicherung der Mittelschichten das am 12. Mai 1933 erlassene Edikt zur „Neuordnung des landwirtschaftlichen Eigentums“, das auf jahrhundertealte Rechtsnormen zurückgriff, die auf der „unauflöslichen Einheit von Blut und Boden“ beruhten.

Hier sind einige charakteristische Passagen angefügt:

Diese unauflösliche Einheit von Blut und Boden ist die unabdingbare Voraussetzung für die Gesundheit einer Nation. Auch in Deutschland garantierte die ländliche Gesetzgebung vergangener Jahrhunderte diese aus dem natürlichen Lebensgefühl einer Nation geborene Verbindung rechtlich. Der Bauernhof war das unverkäufliche Erbe der angestammten Bauernfamilie. Später wurde die Gesetzgebung für Fremde eingeführt und zerstörte die Rechtsgrundlage dieser ländlichen Verfassung. Dennoch hielten in vielen Teilen des Landes die deutschen Bauern, die ein gesundes Gespür für die grundlegende Lebensauffassung ihres Volkes hatten, an den alten Bräuchen fest und gaben den Hof von Generation zu Generation weiter.

Es ist die zwingende Pflicht der Regierung eines erwachten Volkes, das nationale Erwachen durch gesetzliche Regelung der durch deutsches Brauchtum bewahrten unauflöslichen Einheit von Blut und Boden durch das Fideikommissrecht zu gewährleisten.

Der Eigentümer eines Hofes oder Forstes, der beim zuständigen Amtsgericht als Erbe eines Fideikommissgutes eingetragen ist, muss sein Eigentum gemäß dem Fideikommissrecht weitergeben. Der Eigentümer dieses geerbten Hofes wird Bauer genannt. Ein Bauer kann nicht mehr als einen nach diesem Gesetz geerbten Hof besitzen. Nur ein Kind des Bauern darf den geerbten Hof übernehmen. Er ist der gesetzliche Erbe.Die Miterben werden vom Hof ​​versorgt, bis sie wirtschaftlich unabhängig sind. Wenn sie ohne eigenes Verschulden in Not geraten, haben sie auch in späteren Jahren das Recht, auf dem Hof ​​Zuflucht zu suchen. Die Übertragung eines nicht eingetragenen, aber dennoch eintragungsfähigen Hofes unterliegt dem Fideikommissrecht.

Ein Fideikommiss kann nur ein Bauer besitzen, der deutscher Staatsbürger und deutschen Blutes ist. Nur wer in vier Generationen in seiner männlichen oder sonstigen Abstammung niemanden jüdischer oder farbiger Herkunft hat, ist deutscher Abstammung. Natürlich ist jedoch jeder Germane nach dem Wortlaut dieses Gesetzes deutscher Abstammung. Eine Heirat mit einer Person nichtdeutschen Blutes schließt die Nachkommen dieser Ehe dauerhaft von der Eigentümerschaft eines nach diesem Gesetz geerbten Hofes aus.

Zweck dieses Gesetzes ist es, die Hofgüter vor Überschuldung und schädlicher Zersplitterung im Erbgang zu schützen und sie als dauerhaftes Erbe der Familien freier Bauern zu erhalten. Gleichzeitig bezweckt das Gesetz eine gesunde Aufteilung der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Eine große Zahl von autarken kleinen und mittleren Bauernhöfen, die möglichst gleichmäßig über das Land verteilt sind, sind für die Erhaltung der Gesundheit eines Staates und Volkes notwendig.

Welche Tendenzen drückten sich in diesem Gesetz aus? Es stand im Widerspruch zu den Interessen der Großlandwirtschaft, die darauf aus war, die mittleren und kleinen Bauernhöfe zu absorbieren und eine immer größere Kluft zwischen Grundbesitzern und besitzlosem ländlichen Proletariat zu schaffen. Aber die Vereitelung dieser Absicht wurde durch die Erhaltung der ländlichen Mittelklasse reichlich kompensiert, an der die Großlandwirtschaft ein erhebliches Interesse hatte, da sie die Massenbasis ihrer Macht darstellte.

Der Kleingrundbesitzer wird nicht nur als privater Grundbesitzer mit dem Großgrundbesitzer gleichgesetzt. Das allein würde nicht viel bedeuten. Wichtig ist hier die Erhaltung der ideologischen Atmosphäre der Klein- und Mittelgrundbesitzer, jener Atmosphäre nämlich, die in kleinen, von Familien betriebenen Unternehmen herrscht. Diese Atmosphäre bringt bekanntlich die besten nationalistischen Kämpfer hervor und erfüllt die Frauen mit nationalistischem Eifer. Und das erklärt, warum die politische Reaktion immer vom „moralerhaltenden Einfluss der Bauernschaft“ plappert. Dies ist jedoch eine sexualökonomische Frage.

Diese Verflechtung von individualistischen Produktionsweisen und autoritärer Familie in der unteren Mittelschicht ist eine der vielen Quellen der faschistischen Ideologie der „Großfamilie“. Auf diese Frage wird später in einem anderen Zusammenhang zurückzukommen sein.

Das wirtschaftliche Ausspielen der kleinen Unternehmen gegeneinander entspricht der für die untere Mittelschicht typischen familiären Abkapselung und Konkurrenz, ungeachtet der faschistischen Ideologie „Gemeinwohl geht vor persönlichem Wohl“ und „Unternehmensidee“. Die Grundelemente der faschistischen Ideologie, „Führerprinzip“, Familienpolitik usw. haben einen individualistischen Charakter. Das Kollektive im Faschismus entspringt den sozialistischen Tendenzen in der Massenbasis, während die individualistischen Elemente den Interessen des Großkapitals und der faschistischen Führung entspringen.

Angesichts der natürlichen Organisation des Menschen würde diese wirtschaftliche und familiäre Situation zusammenbrechen, wenn sie nicht durch eine spezifische Beziehung zwischen Mann und Frau, eine Beziehung, die wir als patriarchalisch bezeichnen, und eine aus dieser spezifischen Beziehung abgeleitete Form der Sexualität gesichert wäre.

Wirtschaftlich ist der Mann der städtischen Mittelschicht nicht in einer besseren Position als der Arbeiter. In seinen Bemühungen, sich vom Arbeiter zu unterscheiden, muss er sich also im Wesentlichen auf seine familiäre und sexuelle Lebensweise stützen. Seine wirtschaftlichen Entbehrungen müssen auf sexualmoralische Weise kompensiert werden. Im Falle des Beamten ist dieses Motiv das wirksamste Element seiner Identifikation mit der herrschenden Macht. Da er nicht auf einer Stufe mit der oberen Mittelschicht steht, sich aber dennoch mit ihr identifiziert, müssen die sexualmoralischen Ideologien die wirtschaftlichen Beschränkungen kompensieren. Im Wesentlichen dienen die sexuelle Lebensweise und die davon abhängigen kulturellen Lebensweisen dazu, ihn von den unteren Klassen zu unterscheiden.

Die Gesamtheit dieser moralistischen Einstellungen, die die Einstellung zum Sex umgeben und allgemein als „philisterhaft“ bezeichnet werden, gipfelt in Vorstellungen von – wir sagen Vorstellungen von, nicht Taten von – Ehre und Pflicht.Die Wirkung dieser beiden Worte auf die untere Mittelschicht muss richtig eingeschätzt werden, sonst hat es keinen großen Zweck, sich mit ihnen zu befassen. Sie tauchen immer wieder in der faschistischen Diktatorideologie und Rassentheorie auf. Tatsächlich sind es gerade die Lebensweise und die Geschäftspraktiken der unteren Mittelklasse, die ein völlig entgegengesetztes Verhalten auferlegen.

Ein Hauch von Unehrlichkeit gehört zur Existenz des privaten Handels. Wenn ein Bauer ein Pferd kauft, macht er es auf jede erdenkliche Weise schlecht. Wenn er dasselbe Pferd ein Jahr später verkauft, wird es jünger, besser und stärker geworden sein. Das Gefühl der „Pflicht“ wird von Geschäftsinteressen und nicht von nationalen Charaktereigenschaften geprägt. Die eigene Ware wird immer die beste sein – die des anderen immer die schlechteste. Geringschätzung der Konkurrenz – eine Geringschätzung, die meist jeder Ehrlichkeit entbehrt – ist ein wesentliches Instrument des eigenen „Geschäfts“. Das unterwürfige und respektvolle Verhalten des Kleinunternehmers gegenüber seinen Kunden zeugt vom enormen Druck der wirtschaftlichen Existenz, der auf lange Sicht auch den besten Charakter verderben muss.

Dennoch spielen die Begriffe „Ehre“ und „Pflicht“ im Leben der unteren Mittelklasse eine ganz entscheidende Rolle. Dies lässt sich nicht allein mit den Bemühungen erklären, den eigenen groben materialistischen Hintergrund zu verbergen. Denn trotz aller Heuchelei ist die Ekstase, die aus den Begriffen „Ehre“ und „Pflicht“ herrührt, echt. Es ist lediglich eine Frage ihrer Quelle.

Diese Ekstase entspringt Quellen des unbewussten Gefühlslebens. Man schenkt diesen Quellen zunächst keine große Aufmerksamkeit und übersieht ihre Beziehung zur oben genannten Ideologie nur zu gerne. Eine Analyse der unteren Mittelklasse lässt jedoch keinen Zweifel an der Bedeutung der Beziehung zwischen Sexualleben und der Ideologie von „Pflicht“ und „Ehre“.

Zum einen spiegelt sich die politische und wirtschaftliche Stellung des Vaters in seinem patriarchalischen Verhältnis zum Rest der Familie wider. In der Figur des Vaters hat der autoritäre Staat seinen Vertreter in jeder Familie, so dass die Familie zu seinem wichtigsten Machtinstrument wird.

Die autoritäre Position des Vaters spiegelt seine politische Rolle wider und offenbart das Verhältnis der Familie zum autoritären Staat. Innerhalb der Familie hat der Vater dieselbe Position inne, die ihm sein Chef im Produktionsprozess einnimmt. Und er reproduziert seine unterwürfige Haltung gegenüber der Autorität in seinen Kindern, insbesondere in seinen Söhnen. Die passive und unterwürfige Haltung des Mannes der unteren Mittelschicht gegenüber der Führerfigur ist das Ergebnis dieser Bedingungen. Ohne es wirklich zu erraten, baute Hitler auf dieser Haltung der unteren Mittelschicht auf, als er schrieb:

Die Menschen sind in ihrer überwältigenden Mehrheit von Natur und Haltung her so weiblich, dass nüchterne Vernunft ihr Denken und Handeln weit weniger bestimmt als Emotionen und Gefühle.

Und diese Einstellung ist nicht kompliziert, sondern sehr einfach und aus einem Guss. Sie hat keine mehreren Schattierungen; sie hat eine positive und eine negative; Liebe oder Hass, richtig oder falsch, Wahrheit oder Lüge, niemals halb so und halb so, niemals teilweise oder dergleichen.

[a. a. O. S. 183]

Hierbei handelt es sich nicht um eine „angeborene Veranlagung“, sondern um ein typisches Beispiel für die Reproduktion eines autoritären Gesellschaftssystems in den Strukturen seiner Mitglieder.

Was diese Position des Vaters tatsächlich erfordert, ist die strengste sexuelle Unterdrückung der Frauen und der Kinder. Während Frauen unter kleinbürgerlichem Einfluss eine resignative Haltung entwickeln – eine Haltung, die durch unterdrückte sexuelle Rebellion verstärkt wird –, entwickeln die Söhne neben einer unterwürfigen Haltung gegenüber der Autorität eine starke Identifikation mit dem Vater, die die Grundlage für die emotionale Identifikation mit jeder Art von Autorität bildet. Wie es dazu kommt, dass die psychischen Strukturen der Trägerschichten einer Gesellschaft so konstruiert sind, dass sie in den ökonomischen Rahmen passen und den Zwecken der herrschenden Mächte so präzise dienen wie die Teile einer Präzisionsmaschine, wird noch lange ein ungelöstes Rätsel bleiben. Was wir als strukturelle Reproduktion des ökonomischen Systems einer Gesellschaft in der Psychologie der Massen beschreiben, ist jedenfalls der grundlegende Mechanismus im Prozess der politischen Ideenbildung.

Erst viel später trägt die Einstellung des wirtschaftlichen und sozialen Wettbewerbs zur Entwicklung der Struktur der unteren Mittelklasse bei. Das reaktionäre Denken, das in dieser Phase geformt wird, ist eine sekundäre Fortsetzung psychischer Prozesse, die bis in die ersten Jahre eines Kindes zurückreichen, das in einer autoritären Familienatmosphäre aufwächst. Da wäre zum einen der Wettbewerb zwischen den Kindern und den Erwachsenen, aber von noch weitreichenderer Konsequenz ist der Wettbewerb zwischen Kindern derselben Familie in ihrer Beziehung zu den Eltern.

In der Kindheit ist dieser Wettbewerb, der später im Erwachsenenalter und im Leben außerhalb der Familie überwiegend wirtschaftlicher Natur ist, hauptsächlich in den starken emotionalen Hassliebebeziehungen zwischen Mitgliedern derselben Familie wirksam. Dies ist nicht der Ort, um diese Beziehungen im Detail zu verfolgen. Dies ist ein Forschungsgebiet für sich. Es genügt hier zu sagen: Die sexuellen Hemmungen und Schwächungen, die die wichtigsten Voraussetzungen für die Existenz der autoritären Familie darstellen und die wesentlichste Grundlage der strukturellen Bildung des kleinbürgerlichen Mannes sind, werden mit Hilfe religiöser Ängste umgangen, die mit sexuellen Schuldgefühlen durchdrungen und tief in den Emotionen verankert sind.

Damit kommen wir zum Problem der Beziehung zwischen Religion und der Negierung des sexuellen Verlangens. Sexuelle Schwächung führt zu einer Verringerung des Selbstvertrauens. Im einen Fall wird sie durch die Brutalisierung der Sexualität kompensiert, im anderen durch rigide Charakterzüge. Der Zwang, die eigene Sexualität zu kontrollieren, die sexuelle Unterdrückung aufrechtzuerhalten, führt zur Entwicklung pathologischer, emotional gefärbter Vorstellungen von Ehre und Pflicht, Tapferkeit und Selbstbeherrschung. Aber die Pathologie und Emotionalität dieser psychischen Einstellungen stehen in starkem Widerspruch zur Realität des persönlichen Verhaltens. Der Mann, der genitale Befriedigung erlangt, ist ehrenhaft, verantwortlich, mutig und beherrscht, ohne viel Aufhebens darum zu machen.

Diese Einstellungen sind ein organischer Teil seiner Persönlichkeit. Der Mann, dessen Genitalien geschwächt sind, dessen sexuelle Struktur voller Widersprüche ist, muss sich ständig daran erinnern, seine Sexualität zu kontrollieren, seine sexuelle Würde zu bewahren, angesichts von Versuchungen tapfer zu sein usw. Der Kampf, der Versuchung zur Masturbation zu widerstehen, ist ein Kampf, den jeder Jugendliche und jedes Kind ohne Ausnahme durchmacht. Alle Elemente der Struktur des reaktionären Menschen entwickeln sich in diesem Kampf. In der unteren Mittelschicht ist diese Struktur am stärksten verstärkt und am tiefsten verankert.

Jede Form der Mystik bezieht ihre aktivste Energie und zum Teil auch ihren Inhalt aus dieser erzwungenen Unterdrückung der Sexualität. Insofern die verschiedenen Kategorien der Industriearbeiter denselben sozialen Einflüssen unterliegen, entwickeln auch sie entsprechende Einstellungen; Dennoch sind bei ihnen aufgrund der deutlichen Verschiedenheit ihrer Lebensweise gegenüber der unteren Mittelschicht die geschlechtsbejahenden Kräfte weitaus ausgeprägter und auch bewusster. Die affektive Verankerung dieser Strukturen durch

unbewusste Ängste, ihre Verdeckung durch völlig asexuell erscheinende Charakterzüge sind dafür verantwortlich, dass diese tiefen Schichten der Persönlichkeit mit rationalen Argumenten allein nicht erreicht werden können. Welche Bedeutung diese Feststellung für die praktische Sexualpolitik hat, wird im letzten Kapitel erörtert.

Inwieweit der unbewussteKampf gegen die eigenen sexuellen Bedürfnisse zu metaphysischem und mystischem Denken führt, kann hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Wir wollen nur ein Beispiel nennen, das typisch für die nationalsozialistische Ideologie ist. Immer wieder stoßen wir auf Reihen wie diese: persönliche Ehre, Familienehre, Rassenehre, nationale Ehre.Diese Abfolge entspricht den verschiedenen Schichten der individuellen Struktur. Allerdings werden die sozioökonomischen Grundlagen nicht berücksichtigt: Kapitalismus bzw. Patriarchat; die Institution der Zwangsehe; sexuelle Unterdrückung; persönlicher Kampf gegen die eigene Sexualität; persönliches kompensatorisches Ehrgefühl usw. Die höchste Position in der Reihe nimmt die Ideologie der „nationalen Ehre“ ein, die mit dem irrationalen Kern des Nationalismus identisch ist. Um dies zu verstehen, ist es jedoch notwendig, sich erneut von unserem Hauptthema abzuwenden.

Der Kampf der autoritären Gesellschaft gegen die Sexualität der Kinder und Jugendlichen und der daraus folgende Kampf im eigenen Ich findet im Rahmen der autoritären Familie statt, die sich bisher als die beste Institution erwiesen hat, um diesen Kampf erfolgreich zu führen. Sexuelle Wünsche drängen den Menschen natürlich dazu, alle möglichen Beziehungen zur Welt einzugehen, in den verschiedensten Formen in engen Kontakt mit ihr zu treten.

Wenn sie unterdrückt werden, haben sie nur eine Möglichkeit: sich im engen Rahmen der Familie Luft zu machen. Sexuelle Hemmung ist die Grundlage der familiären Abkapselung des Individuums sowie die Grundlage des individuellen Selbstbewusstseins. Man muss streng darauf achten, dass metaphysisches, individuelles und familiäres Gefühlsverhalten nur verschiedene Aspekte ein und desselben Grundprozesses der sexuellen Negation sind, während realitätsorientiertes, nicht-mystisches Denken mit einer lockeren Haltung gegenüber der Familie einhergeht und der asketischen Sexualideologie gegenüber zumindest gleichgültig ist.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Bindung an die autoritäre Familie durch sexuelle Hemmung hergestellt wird; dass es die ursprüngliche biologische Bindung des Kindes an die Mutter und auch der Mutter an das Kind ist, die die Barriere zur sexuellen Realität bildet und zu einer unauflöslichen sexuellen Fixierung und zur Unfähigkeit führt, sich in andere Beziehungen einzufügen. Die Bindung an die Mutter ist die Grundlage aller familiären Bindungen. In ihrem subjektiven emotionalen Kern sind die Begriffe Heimat und Nation Begriffe von Mutter und Familie.In der Mittelschicht ist die Mutter die Heimat des Kindes, so wie die Familie die „Nation im Kleinen“ ist.

Damit wird verständlich, warum der Nationalsozialist Goebbels im Nationalsozialistischen Almanach von 1932, zweifellos ohne Kenntnis der tieferen Bedeutung, folgende Worte als Motto für seine zehn Gebote wählte: „Vergiss nie, dass dein Land die Mutter deines Lebens ist.“ Anlässlich des „Muttertags“ 1933 erklärte Angriff:

Muttertag. Die nationale Revolution hat alles Kleinliche hinweggefegt. 1 Ideen führen wieder und führen gemeinsam – Familie, Gesellschaft und Nation. Die Idee des Muttertags ist perfekt geeignet, das zu ehren, was die deutsche Idee symbolisiert: Die deutsche Mutter. 1 Nirgendwo kommt der Frau und der Mutter diese Bedeutung zu wie im neuen Deutschland. Sie ist die Beschützerin des Familienlebens, aus dem die Kräfte sprießen, die unsere Nation wieder vorwärts führen werden. Sie – die deutsche Mutter – ist die alleinige Trägerin der Idee der deutschen Nation. Der Begriff „Mutter“ ist untrennbar mit dem Begriff „Deutschsein“ verbunden. Gibt es etwas, das uns einander näher bringen kann, als die gegenseitige Ehrung der Mutter?

So falsch diese Sätze in ökonomischer und sozialer Hinsicht auch sein mögen, so sind sie doch vom Standpunkt der menschlichen Struktur aus wahr. So sind nationalistische Gefühle die direkte Fortsetzung der familiären Bindung und wurzeln ebenso in der fixierten Bindung an die Mutter. Dies kann biologisch nicht erklärt werden. Denn diese Bindung an die Mutter ist, insofern sie sich zu einer familiären und nationalistischen Bindung entwickelt, selbst ein soziales Produkt.

In der Pubertät würde sie anderen Bindungen, d. h. natürlichen sexuellen Beziehungen, Platz machen, wenn sexuelle Beschränkungen nicht ihre Verewigung bewirken würden. Als diese sozial motivierte Verewigung wird sie zur Grundlage nationalistischer Gefühle im Erwachsenenalter; erst in diesem Stadium wird sie zu einer reaktionären sozialen Kraft. Wenn die nationalistischen Gefühle des Industriearbeiters weit weniger ausgeprägt sind als die des kleinbürgerlichen Arbeiters, so ist dies dem anderen Sozialleben und den dadurch loseren familiären Bindungen des ersteren zuzuschreiben.

Nun wird sich hoffentlich niemand aufregen und uns vorwerfen, wir wollten die Soziologie „biologisieren“, denn wir wissen ganz genau, dass der Unterschied im Familienleben des Industriearbeiters auch durch seine Stellung im Produktionsprozess bedingt ist. Es muss jedoch die Frage gestellt werden, warum der Industriearbeiter dem Internationalismus so offen gegenübersteht, während der kleinbürgerliche Arbeiter eine so starke Neigung zum Nationalismus hat.

In der objektiven wirtschaftlichen Lage kann dieser Faktor der Verschiedenheit nur festgestellt werden, wenn der oben beschriebene Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und familiären Lage des Industriearbeiters berücksichtigt wird. Auf andere Weise kann er nicht festgestellt werden. Die seltsame Weigerung marxistischer Theoretiker, das Familienleben als einen gleichwertigen Faktor für die Verankerung des sozialen Systems zu betrachten, ja es als den entscheidenden Faktor für die Bildung der menschlichen Struktur zu betrachten, ist auf ihre familiären Bindungen zurückzuführen. Die Tatsache, dass die familiäre Bindung die intensivste und emotionalste ist, kann nicht überbewertet werden.

Der wesentliche Zusammenhang zwischen familiärer und nationalistischer Ideologie kann weiter verfolgt werden. Familien sind ebenso voneinander isoliert und gegeneinander gerichtet wie Nationen. In beiden Fällen ist die letzte Ursache für diese Trennung und Opposition eine wirtschaftliche. Die Familie der unteren Mittelklasse (die von Beamten, Angestellten mit niedrigem Einkommen usw.) wird ständig von Nahrungsmittel- und anderen materiellen Sorgen geplagt. Daher reproduzieren die Expansionstendenzen der großen kleinbürgerlichen Familie auch eine imperialistische Ideologie: „Die Nation braucht Platz und Nahrung.“ Aus diesem Grund ist der Mann der kleinen Mittelschicht besonders zugänglich für die imperialistische Ideologie. Er ist in der Lage, sich voll und ganz mit der personifizierten Vorstellung der Nation zu identifizieren. Auf diese Weise wird der familiäre Imperialismus ideologisch im nationalen Imperialismus reproduziert.

In diesem Zusammenhang ist Goebbels’ Aussage in der Broschüre Die verfluchten Hakenkreuler (Eher Verlag, München, S. 16 und 18) interessant. Sie wurde als Antwort auf die Frage geschrieben, ob ein Jude ein Mann sei.

Wenn jemand deiner Mutter mit der Peitsche ins Gesicht schlägt, würdest du zu ihm sagen: Danke! Ist er auch ein Mann!? Wer so etwas tut, ist kein Mann - er ist ein Tier! Wie viele schlimmere Dinge hat der Jude unserer Mutter Deutschland [Hervorhebung von mir, WR] angetan und tut ihr immer noch an! Er [der Jude] hat unsere Rasse verdorben, unsere Energie ausgesaugt, unsere Sitten untergraben und unsere Stärke gebrochen ... Der Jude ist der bildliche Dämon des Verfalls ... beginnt sein verbrecherisches Menschengemetzel.

Man muss die Bedeutung der Idee der Kastration als Strafe für sexuelle Lust kennen; man muss den sexualpsychologischen Hintergrund von Ritualmordphantasien sowie den Hintergrund des Antisemitismus als solchem ​​verstehen; und man muss darüber hinaus die sexuellen Schuldgefühle und sexuellen Ängste des reaktionären Menschen richtig einschätzen, um beurteilen zu können, wie sich solche unbewusst geschriebenen Sätze auf die unbewusste Emotionalität des durchschnittlichen Lesers auswirken. In solchen Aussagen und ihrer unbewussten emotionalen Wirkung finden wir die psychologischen Wurzeln des Antisemitismus des Nationalsozialismus.

Sie sollten nichts weiter als ‚Vernebelung‘ sein. Sicherlich auch Vernebelung. Dabei wurde jedoch übersehen, dass der Faschismus ideologisch gesehen der Widerstand einer sexuell wie ökonomisch todkranken Gesellschaft gegen die schmerzhaften, aber entschlossenen revolutionären Tendenzen zur sexuellen wie ökonomischen Freiheit war, einer Freiheit, deren bloßer Gedanke den reaktionären Menschen in Todesangst versetzt. Das heißt: Die Herstellung der ökonomischen Freiheit geht Hand in Hand mit der Auflösung alter Institutionen (insbesondere der sexualpolitischen), denen der reaktionäre Mensch und auch der Industriearbeiter, sofern er Reaktionär ist, nicht unmittelbar gewachsen sind.

Mehr als alles andere ist es die Angst des reaktionären Denkers vor der sexuellenFreiheit, die als sexuelles Chaos und sexuelle Ausschweifung im Kopf verstanden wird, die eine bremsende Wirkung auf das Verlangen hat, sich vom Joch der wirtschaftlichen Ausbeutung zu befreien. Dies wird nur so lange der Fall sein, wie diese falsche Vorstellung von sexueller Freiheit vorherrscht. Und sie kann nur weiter vorherrschen, weil in den Massen der Bevölkerung über diese sehr entscheidenden Fragen Unklarheit herrscht. Genau aus diesem Grund muss die Sexualökonomie eine wesentliche Rolle bei der Ordnung der sozialen Beziehungen spielen. Je umfassender und tiefer die reaktionäre Struktur die werktätigen Massen erfasst hat, desto entscheidender ist die Bedeutung der sexualökonomischen Arbeit, die Volksmassen zu gesellschaftlicher Verantwortung zu erziehen.

In diesem Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen und strukturellen Faktoren ist es die autoritäre Familie, die die erste und wesentlichste Quelle der Reproduktion jeder Art reaktionären Denkens darstellt; sie ist eine Fabrik, in der reaktionäre Ideologie und reaktionäre Strukturen produziert werden. Daher ist die „Sicherung der Familie“, d. h. der autoritären und großen Familie, das erste Kulturgebot jeder reaktionären Politik. Dies ist es, was sich im Wesentlichen hinter der Phrase „Sicherung des Staates, der Kultur und der Zivilisation“ verbirgt.

In einem Wahlaufruf der NSDAP zur Reichspräsidentenwahl 1932 (Adolf Hitler: „Mein Programm“) hieß es:

Die Frau ist von Natur und Schicksal her die Gefährtin des Mannes. Somit sind Mann und Frau Lebensgefährten wie Arbeitsgefährten. So wie die wirtschaftliche Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte den Arbeitsbereich des Mannes verändert hat, ist es nur logisch, dass sie auch den Arbeitsbereich der Frau verändert hat. Über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit hinaus ist es die Pflicht von Mann und Frau, den Mann selbst zu erhalten. In dieser edelsten Mission der Geschlechter entdecken wir zugleich die Grundlage ihrer individuellen Begabungen, die die Vorsehung in ihrer ewigen Weisheit beiden unabänderlich mitgegeben hat.

So ist es die höchste Aufgabe, den Lebensgefährten und Arbeitsgenossen die Gründung einer Familie zu ermöglichen. Ihre endgültige Zerstörung würde das Ende jeder Form höherer Menschlichkeit bedeuten. Ganz gleich, wie weit der Wirkungsbereich der Frau ausgedehnt werden kann, das letzte Ziel einer wahrhaft organischen und logischen Entwicklung muss immer die Gründung einer Familie sein. Sie ist die kleinste, aber wertvollste Einheit im Gesamtgefüge des Staates. Arbeit ehrt Mann und Frau gleichermaßen. Aber das Kind erhebt die Frau.

Unter der Überschrift „Erhaltung der Bauernschaft heißt Erhaltung der deutschen Nation“ heißt es in derselben Proklamation: „In der Erhaltung und Förderung einer gesunden Bauernschaft sehe ich ferner den besten Schutz gegen soziale Nöte wie gegen den rassischen Verfall unseres Volkes.“

In dieser Hinsicht darf die traditionelle Familienbande der Bauernschaft nicht vergessen werden, wenn man nicht einen Fehler machen will. Es heißt weiter:

Ich bin der Überzeugung, dass ein Volk zur Stärkung seiner Widerstandskraft nicht nur nach rationalen Grundsätzen leben darf; es bedarf auch geistiger und religiöser Unterstützung. Fast noch verheerender als die Wirkung des politischen und wirtschaftlichen Kommunismus sind die Vergiftung und Zersetzung des Volkskörpers durch die Ereignisse unseres Kulturbolschewismus.

Als Partei, die wie der italienische Faschismus ihre anfänglichen Erfolge den Interessen der Großgrundbesitzer verdankte, mußte die NSDAP die Klein- und Mittelbauern gewinnen, sich in ihnen eine soziale Basis schaffen. Dabei konnte sie natürlich in ihrer Propaganda nicht offen die Interessen der Großgrundbesitzer vertreten, sondern mußte ihre Ansprache an die Kleinbauern richten, und zwar an die Strukturen, die in ihnen durch die Überschneidung von familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen entstanden.

Nur in bezug auf dieses Element des Kleinbürgertums gilt der Satz, daß Mann und Frau Arbeitsgefährten sind. Für die Gesamtheit der Industriearbeiter gilt er nicht. Selbst für den Bauern gilt er nur formal, denn in Wirklichkeit ist die Bäuerin des Bauern seine Dienerin. Prototyp und Verwirklichung der faschistischen Ideologie der hierarchischen Organisation des Staates sind in der hierarchischen Organisation der Bauernfamilie zu finden.

Die Bauernfamilie ist eine Nation im Kleinen, und jedes Mitglied dieser Familie identifiziert sich mit dieser Miniaturnation. Somit ist die Grundlage für die Übernahme einer großen imperialistischen Ideologie in der Bauernschaft und in der unteren Mittelschicht vorhanden, wo eine ganze Familie in einem kleinen Unternehmen tätig ist. Die Vergötterung der Mutterschaft ist in beiden Fällen auffällig. Wie hängt diese Vergötterung mit reaktionärer Sexualpolitik zusammen?

Nationalistisches Selbstbewusstsein


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